In Krisen und im Ausnahmezustand gehören Gefühle der Bedrohung und Angst zu den vorrangigen Motiven, dass sich Bürgerinnen und Bürger intuitiv gemeinsam hinter der Regierung oder Fahne gegen bedrohliche Feinde sammeln (‚rally ‚round the flag‘) und bereit sind, der Exekutive weitreichende Kompetenzen einzuräumen sowie große Einschränkungen von Freiheit oder Entbehrungen hinzunehmen. Für die grassierende, oft übertriebene, Wahrnehmung von Risiken und Angst spielen in modernen Gesellschaften vor allem Medien (insbesondere bewegte Bilder des Fernsehens) eine wesentliche Rolle, wobei Analysen zeigen, dass Ängste und Gefühle von Unsicherheit gegenüber Kriminalität, Terror usw. um so größer und verzerrter ausfallen, je mehr Menschen Medien und vor allem Fernsehen konsumieren (insgesamt zeigen sich zudem Jüngere und Frauen ängstlicher als Ältere und Männer) (vgl. ). Dem liegt eine wettbewerbliche Ökonomie und eine Logik des Kampfs um Aufmkerksamkeit zugrunde, so dass sich Medien zwangsläufig weit überproportional auf negative, emotional bewegende und ’spektakuläre‘ Vorkommnisse wie Katatsrophen, extreme Kriminalfälle und Terroranschläge wie 9/11 oder eben aktuell Covid-19 fokussieren.1 Entsprechend berichten Medien in ‚Krisensituationen‘ besonders intensiv und stark überproportional, mithilfe dramatischer, zugespitzter Bilder und Storys, oft anhand einprägsamer, rührender Einzelschicksale. Die besonders ‚einschlägigen‘ Bilder und Storys sind dann meist in allen Kanälen in schier endlos anmutender Wiederholung zu sehen, dem sich kaum jemand entziehen kann, weil in Situationen wie ‚9/11‘ oder der ‚Corona-Krise‘ in den Medien sowieso kaum noch ein anderes Thema in den Nachrichten und im gesamten nicht fiktionalen Programm vorkommt (vgl. ). Z.B. erhielten in der ‚Corona-Krise‘ extreme Vorkommnisse und Bilder wie der nächtliche Abtransport von Leichen durch das Militär in Bergamo (Italien) eine die öffentliche Wahrnehmung extrem prägende Bedeutung.
D.h. es werden in Krisen medial stark verzerrte, gefilterte und konstruierte Sichtweisen der Wirklichkeit produziert und ‚Narrative‘; ‚Konstruktionen‘ sowie ‚Rahmungen‘ oder ‚Frames‘ hergestellt und bedient, was in der Regel unbewusst und aus der Logik oder den Strukturen des medialen Feldes resultiert.2 Auch wenn die bewusste Manipulation eher selten sein dürfte, kann diese aber auch nicht ausgeschlossen werden, z.B. zur Förderung von Aufmerksamkeit, Anerkennung oder Karriere.3 Entsprechend der skizzierten Logik des Wettbewerbs um Aufmerksamkeit erfahren in Krisen zudem warnende Stimmen von Politikerinnen und Expertinnen eher Resonanz, während abwägende oder beschwichtigende Akteure sowie jene, die gegen den medialen Mainstream argumentieren, eher ausgeblendet, argwöhnisch beurteilt oder abgewertet werden.4 Dazu kommt, dass auch alltägliche Berichte über Covid-19 oft ganz selbstverständlich mit Bildern aus Intensivstationen illustriert und damit zugespitzt wurden, weil auf diese Weise die Tatsache unterschlagen und konterkariert wird, dass ein Großteil der positiv auf Covid-19 Gestesteten ohne Krankheitssymptome bleibt (die dennoch als ‚Infizierte‘ oder ‚Erkrankte‘ berichtet werden), und dass auch die Mehrzahl der an Covid-19 Erkrankten in Krankenhäusern auf normalen Stationen untergebracht ist (). Aufschlussreich ist auch die paradox anmutende Bezeichnung ‚asymptomatisch Erkrankte‘, wobei indes schon der bekannte, extrem weite und anspruchsvolle Begriff der Gesundheit der WHO mit dem Bezug auf einen (kaum jemals zu erreichenden) Idealzustand „vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens“ eine expansive Problemwahrnehmung oder Pathologisierung eröffnet, weil schon die kleinste Abweichung von diesem Ideal als ‚problematisch‘ begriffen werden kann, woraus sich ein schier grenzenloser, insbesondere präventiver, professioneller und politischer Interventionsbedarf begründen lässt.
Infolge der medial verzerrten Wahrnehmung und der andauernden öffentlichen Krisendiskurse kann z.B. in den USA seit ‚9/11‘ beobachtet werden, dass sich eine völlig übertrieben erscheinende Angst vor Terroranschlägen verbreitete. So zeigten sich in Umfragen in den USA regelmäßig knapp die Hälfte der Befragten besorgt, dass sie selbst oder jemand von ihrer Familie ein Opfer von Terroranschlägen werden könnten (direkt nach ‚9/11‘ waren es sogar fast 60%, vgl. Gallup-Institut). Die tatsächliche Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Terroranschlags zu werden, blieb aber trotz 9/11 äußerst gering: Denn in den USA gab es von 1995 bis 2019 (unter Einbezug von 9/11) pro Jahr im Mittel 151 Tote infolge von Terroranschlägen, ohne 9/11 waren es 24 Terroropfer pro Jahr, bei ca. 318 Mio. Bürgerinnen und Bürgern (vgl. Global Terrorism Database). Ähnlich hat sich seit März 2020 rasch in weiten Teilen der Welt eine große Angst vor der Ansteckung durch Coronaviren verbreitet, in den USA zeigten sich in Umfragen 57% sehr oder ziemlich besorgt, angesteckt zu werden (so das Gallup-Institut im Dez. 2020). Hierzulande äußerte auch fast die Hälfte der Menschen (44%) sehr große oder große Sorgen vor einer Ansteckung mit Sars-Cov-2 (Infratest-Dimap für ARD-Deutschlandtrend vom Nov. 2020). Dabei wurden in Deutschland laut offiziellen Statistiken des staatlichen Robert Koch Instituts (RKI) bisher ca. 3,4 Mio. Menschen positiv auf Sars-Cov-2 gestestet (3. Mai 2021), d.h. 4% von ca. 83 Mio. Bürgerinnen und Bürgern (vgl. Statistisches Bundesamt), wobei ein positiver Test aber noch nicht bedeutet, dass man tatsächlich erkrankt oder infektiös ist, weil oft nur eine sehr geringe, praktisch unerhebliche, nicht vermehrungsfähige Virenlast vorliegt (vgl. ). Gestorben sind mit positivem Test auf Sars-Cov-2 in Deutschland gut 83 Tsd. Menschen (Stand: 3. Mai 2021), d.h. ca. 0,1% der Bevölkerung. Zwar werden sich diese Zahlen noch erhöhen, jedoch legen auch internationale Meta-Analysen eine Infection Fatality Rate von max. ca. 0,2-0,4% nahe; dazu kommt, dass das Medianalter der Verstorbenen bei über 80 Jahren liegt, so dass angesichts der häufigen ‚Co-Morbidität‘ bei Hochaltrigen fraglich ist, inwiefern Covid-19 ursächlich für das Ableben war (vgl. ). Jedenfalls liegt die Sterblichkeit von Covid-19 weit unter den ersten alarmistischen Szenarien und weit weg von der von Wissenschaft, Politik und Medien oft als Warnung bemühten Spanischen Grippe von 1919 (damals starben schätzungsweise ca. 50 Mio. Menschen, an oder mit Corona wurden bis zum 3. Mai 2021 weltweit ca. 3,19 Mio. Tote geschätzt vgl. www.ourworldindata.org, wobei aber eine große Unsicherheit bzgl. der Zuverlässigkeit dieser Daten besteht. Entsprechend überschätzten z.B. im Vereinigten Königreich die Bürgerinnen und Bürger die Sterblichkeit an COVID um ca. das Hundertfache, während normale, medial weniger präsente, Risiken weithin unterschätzt werden (so der Beitrag von im Telegraph vom 20.8.2020).5
Weiter zu: Der kapitalistische ‚Wohlfahrtsstaat‘ als Krisenmanager (Krisenpolitik… Kap. 4)
Legitimation des Ausnahmezustands (Krisenpolitik… Kap. 5)
Tendenz zur autoritären Technokratie? (Krisenpolitik… Kap. 6)
Fazit und Ausblick (Krisenpolitik… Kap. 7)
Zurück (Krisenpolitik… Kap. 1)
Hintergrund von Krisenwahrnehmungen: Die Rolle von Wissenschaft und Medien (Krisenpolitik… Kap. 2)
Literatur
- vgl. ; zur Tendenz der Negativität der politischen Medienberichterstattung siehe auch: .[↩]
- Zur kritischen Medienanalyse siehe: ; ; ; aktuelle kritische Medienanalysen auch zum Verhalten von Medien in der ‚Corona-Krise‘ siehe auch bei: Michael Meyens, Medienblog.[↩]
- So hat z.B. CBS zugegeben, für einen alarmistischen Bericht über Covid-19 aus New York Filmmaterial aus Italien verwendet zu haben[↩]
- Zur als einseitigen Auswahl von Expertinnen und Experten sowie Talkshowgästen in der ARD siehe z.B. die aufschlussreiche Diskusison und den Bericht bei: https://multipolar-magazin.de/artikel/im-dialog-mit-der-ard).[↩]
- Angesichts der medialen und politischen Aufregung sei aber vorbeugend versichert, dass der Autor dieses Beitrags weder die Gefahren von Terrorismus noch von Viren wie SARS-Cov-2 verharmlosen möchte, ebenso wie die Opfer selbstverständlich alle beklagenswert sind, so dass angemessene politische Konsequenzen durchaus erforderlich erscheinen. Ein ‚Krieg‘ gegen Terror mit der Bombardierung fremder Länder, um Terroristen zu jagen, scheint aber ebenso wenig sinnvoll wie ein autoritär verordneter ‚Lockdown‘ und Ausnahmezustand, um die Verbreitung von Corona-Viren zu bekämpfen, was ganz offenbar auch durch weniger rigide Maßnahmen gelingt. Dass die Rigidität von Lockdowns nicht mit der Rate von Todesopfern korreliert (siehe z.B. das American Institute of Economic Research), dürfte vor allem daran liegen, dass die Menschen auch unabhängig von Regelungen ihr Verhalten an Gefahren anpassen.[↩]