Politische Legitimation des Ausnahmezustands
Krisen und der ggf. explizit ausgerufene politische Ausnahmezustand entziehen sich per se einer genauen Definition und rechtlichen Regelung oder Kontrolle, Not kennt tendenziell kein Gebot, so dass im Ausnahmezustand zwangsläufig Verfassungen und andere grundlegenden Regelungen mehr oder weniger missachtet oder außer Kraft gesetzt werden, sofern es die tatsächliche oder auch nur wahrgenommene oder konstruierte Notwendigkeit, den Staat und Ordnung zu sichern, nahelegt. Carl Schmitt hat dazu den berühmtem Satz geprägt: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“ (, S. 13). Dieses bringt die Tendenz zur dezisionistischen Diktatur im Ausnahmezustand auf den Punkt (von ihm allerdings positiv gedeutet, weil gegen den kritisierten liberalen Staat gerichtet). Dabei muten Krisen und der dadurch ausgelöste politische Ausnahmezustand grundsätzlich ebenso unübersichtlich wie auch paradox an, wenn die in der Krise entfesselten, oft willkürlich agierenden Exekutiv- und Sicherheitsapparate Freiheit und Recht einschränken oder außer Kraft setzen, um dieses vermeintlich zu schützen.
Grundsätzlich sind Krisensituationen die Stunde der Exekutive, auf die sich die politische Macht fokussiert, so dass ein ‚window of opportunity‘ für Tatkräftige und ‚Führungsstarke‘ entsteht, auch wenn oder gerade weil Gesetze oder die Verfassung außer Acht bleiben, weil dieses die Stärke, Entschlossenheit und Tatkraft der Regierenden noch unterstreicht.1 Politisch bleibt in Krisenituationen scheinbar nicht die Zeit für ausführliche und kontroverse Erörterungen, das Abwägen von Bedenken und den Ausgleich von Interessen, vielmehr muss rasch und entschlossen gehandelt werden. In Krisen werden deshalb von den Anführenden mutige Tatkraft und Entscheidungsfreude erwartet und belohnt, so dass allenfalls retrospektiv Analysen von Problemlagen, Verlauf und Hintergründen von Krisen folgen. Dieses gilt, obwohl dann hinterher oft deutlich wird, dass Krisen und das Instrument der Krisenpolitik auch propagandistisch oder strategisch konstruiert und genutzt wurden — wie z.B. von US-Präsident Bush nach ‚9/11‘.Das ‚window of opportunity‘ gilt aber auch für Akteure anderer Felder wie Medien oder Wissenschaft, die ebenso von Krisen profitieren und aufsteigen können. Die Regierung soll in Krisen jedenfalls straff und effizient durch oder aus der Krise führen, d.h. der parlamentarische, oft ohnehin als kleinlich, egoistisch oder mühselig und langwierig abgewertete, Parteienstreit, der nicht das ‚Große Ganze‘ im Blick hat, soll ruhen oder zurücktreten, alle sollen ‚an einem Strang ziehen‘, um die Krise gemeinsam zu überwinden. In existentiellen Krisen, im Krieg oder Ausnahmezustand werden Einigkeit, Zusammenhalt, Gehorsam und Tatkraft im Sinne der Führung erwartet, um den Feind rasch zu besiegen (vgl. ; ). Nicht zuletzt ist deshalb auch eine rigide Anwendung des ‚Freund-Feind-Schemas‘ typisch für politische Krisen und Ausnahmezustände, wobei die Feinde in der Regel von außen kommen oder als nicht zur Gesellschaft zugehörig betrachtet werden, wie etwa Terroristen.
Förster/Lemke () fassen basierend auf einer historischen Analyse von Fallbeispielen aus den USA die folgenden typischen Legitimationsmuster von Ausnahmezuständen zusammen:
- Äußerlichkeit,
- Freund-Feind-Denken,
- Effizienz und
- Notwendigkeit.
Aufgrund der skizzierten Logik wird verständlich, warum die seit 2020 von der Regierung ausgegebene Doktrin zur Begründung des Ausnahmezustands öffentlich wenig in Frage gestellt wurde und Kritikerinnen oder Kritiker des ‚Lockdowns‘ marginalisiert oder diffamiert wurden, z.B. als ‚Corona-Leugner‘ oder ‚Covidioten‘, so die SPD-Vorsitzende Esken am 1.8.2020 über Zehntausende in Berlin demonstrierende Menschen per Twitter. Dieses gilt, obwohl durchaus auch prominent ausgewiesene wissenschaftliche Experten die Notwendigkeit, Verhältnismäßigkeit und Wirkung von Maßnahmen bezweifelten, wobei sie insbesondere auf eine eher moderate, sich auf sehr hohe Altersgruppen fokussierende Gefährlichkeit von Covid-19 verwiesen und auf die fragwürdige Wirksamkeit von Lockdown-Maßnahmen (dabei legt letzteres schon der Blick auf die relativ ähnlich verlaufenden epidemiologischen Kurven in anderen Ländern nahe, trotz der unterschiedlichen Strenge der Maßnahmen.2
Nationaler Zusammenhalt oder ‚Rally ‚round the Flag‘ in der Krise
Mit Krisenwahrnehmungen und im Ausnahmezustand wächst bei den Bürgerinnen und Bürgern intuitiv die Bereitschaft, wie auch immer geartete staatliche Sicherheitsapparate (sowohl die eher fürsorglichen wie auch eher regulierende oder disziplinierende) auszubauen und diesen immer mehr Rechte einzuräumen, d.h. Freiheitsrechte nicht nur temporär zugunsten von Sicherheitsinteressen zu opfern, bis hin zur Entwicklung omnipräsenter, ‚präzeptoraler Sicherheitsstaaten‘.3 Z.B. bejahte im Jan. 2002 in den USA fast die Hälfte der Befragten (47%), dass die Regierung alle notwendigen Schritte unternehmen sollte, um terroristische Anschläge zu verhindern, selbst wenn dadurch die eigenen Grund- und Freiheitsrechte verletzt würden; zudem unterstützten im Jahr 2005 über 65% der Befragten die gezielte Ermordung von Terroristen.4
Mit der Verbreitung von Angst und Krisenwahrnehmungen enstehen zugleich Impulse der nationalen Sammlung und eine enorme Bereitschaft zur Unterstützung der Regierung (sog. ‚rally ‚round the flag‘), gepaart mit aufwallenden feindseligen Haltungen gegenüber äußeren wie inneren Feinden (vgl. ). Entsprechend war auch in der Corona-Krise der Impuls zur Unterstützung des Ausnahmezustands und der amtierenden Regierungen in der Bevölkerung immens, trotz der massiven Einschränkungen von Grundrechten, sowohl in den USA,5, wie auch in Deutschland: Hierzulande hielten laut Umfragen von Infratest-Dimap auch im Januar 2021 über die Hälfte (53%) der Antwortenden die verhängten Maßnahmen für angemessen, 30% gingen diese nicht weit genug.6 Dazu kommt eine in der ‚Corona-Krise‘ stark gewachsene Unterstützung der Kanzlerin und der regierenden CDU/CSU (weniger der SPD als quasi nur im Sog mitschwimmender ‚Juniorpartner‘), wobei vor allem die Popularität des besonders streng auftretenden Bayerischen Ministerpräsidenten Söder (CSU) ungeahnte Höhenflüge zeigte (Infratest-Dimap a.a.O.). Ähnlich zeigen Analysen zu den französischen Kommunalwahlen und der je nach Region unterschiedlichen Lockdown-Politik eine große Unterstützung von Amtsinhaberinnen in der Krise (‚rally ‚round the flag‘) und dass vor allem Härte zeigende Politikerinnen populär sind; zudem steigt die Wahlbeteiligung mit der Härte des Lockdowns.7
Den Effekten der ’nationalen Sammlung‘ in Krisen können sich auch Medien nicht entziehen, zumal enge Netzwerke von Eliten aus Medien und Politik existieren, die oft auffällig ähnliche Ansichten teilen, insbesondere, wenn es um die ‚großen‘ Fragen, wie z.B. Krieg und Frieden oder Freund und Feind geht (vgl. ; vgl. auch den Beitrag von Klöckner bei telepolis am 22.10.2019). Im Übrigen setzen auch Regierungen ihrerseits gerade in Krisen mediale Strategien und ‚Spin Doctors‘ ein zum Agenda-Setting oder ‚Framing‘, bis hin zu Inszenierungen, wie z.B. der legendäre Auftritt von Ex-US-Außenminister Colin Powell vor der UN im Februar 2003, der mithilfe manipulierter Dokumente über vermeintliche ‚Massenvernichtungswaffen‘ des Irak unter Saddam Hussein einen Einmarsch in den Irak legitimierte — eine eindeuitge ‚Verschwörung‘ im klassischen Sinn und eine ‚Story‘, die weltweit verbreitet wurde, bis erst lange nach dem Krieg der ‚Fake‘ entlarvt wurde.8 Auch ein durchgesickertes Strategiepapier zu Covid-19 aus dem deutschen Innenministerium (vgl. , Vorwort, Fußnote 1) legt die gezielte Förderung von Angst zur Durchsetzung ‚harter‘ politischer Maßnahmen nahe, wobei solche Überlegungen zumindest angestellt und diskutiert wurden, auch wenn unklar bleibt, wie relevant diese für das politische Handeln wirklich waren.
Dessen ungeachtet erscheint die Akzeptanz der Freiheitseinschränkungen und die Folgebereitschaft der Bürgerinnen und Bürger in der Covid-19-Krise frappierend, angesichts des monatelangen ‚Lockdowns‘ und vielfacher, nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch gesundheitlicher wie sozialer ‚Kollateralschäden‘, die noch gar nicht genau abzuschätzen sind.9 Zusammenfassend und pointiert sieht Wolfgang Merkel in der Covid-19-Krise deshalb sogar eine Tendenz zur Wiedererstarken eines antidemokratischen, autoritären Untertanengeists unter dem „Signum des Vernünftigen“, d.h. eine Art autoritäre Technokratie:
„In der Covid-19-Krise erlebten wir die Wiedergeburt des Untertanengeistes unter dem Signum des Vernünftigen. Sichtbar wurde ein demokratisches Paradoxon: Je tiefer die Eingriffe in die Grundrechte der Bürger, desto größer war die Zustimmung derjenigen, denen die Grundrechte entzogen wurden. … Die vermeintliche physische Sicherheit war den Bürgern wichtiger als individuelle Freiheit.“
()
Tendenz zur autoritären Technokratie (Teil 4 und Fazit)
(zurück zu Teil 1) (zurück zu Teil 2).
Literatur
- So begründete sich z.B. ein Großteil des späteren Prestiges oder Mythos des Bundeskanzlers Helmut Schmidt als ‚Macher‘ auf sein entschiedenes Agieren als Innensenator in der Hamburger Sturmflut 1962, gerade weil er Recht und Verfassung ignorierte.[↩]
- Vgl. neben der o.g. Metastudie zur Letalität von Ioannidis et al. als Überblick: ; vgl. auch: http://www.matthias.schrappe.com/index.htm. zur fehlenden Wirkung des Lockdowns siehe: ; ; .[↩]
- Vgl. ; ; ; eine Inhaltsanalyse per books.google.com/ngrams unterstreicht die enorme Zunahme der Häufigkeit des Vorkommens der Begriffe Risiko und Sicherheit im Vergleich zu Freiheit, sowohl auf Deutsch wie Englisch im Verlauf des 20. und 21. Jahrhunderts[↩]
- vgl. https://news.gallup.com/poll/4909/terrorism-united-states.aspx.[↩]
- vgl. https://www.cdc.gov/mmwr/volumes/69/wr/mm6924e1.htm[↩]
- Vgl. https://www.infratest-dimap.de/umfragen-analysen/bundesweit/ard-deutschlandtrend/2021/januar/[↩]
- Im Übrigen profitierten auch die Grünen, die in der Regel zu den schärfsten Lockdown-Unterstützenden gehören; vgl. ; siehe ähnlich für Dänemark, während die Abwahl des US-Präsidenten Trump in der Krise wohl eine Folge seiner enormen Polarisierung und auch inkonsistenten Corona-Politik war; ; .[↩]
- Vgl. das selbstkritische journalistische Statement von Lehming im Tagesspiegel, 14.6.2019[↩]
- Vgl. ; https://www.corona-in-der-schweiz.ch/[↩]