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Zur Krisen- und Reformpolitik in ‚real existierenden Wohlfahrtsstaaten‘

Abstract

In so genannten ‚Wohlfahrtsstaaten‘ dominiert seit dem Ende der oft als ‚golden’ bezeichneten 1960er und 1970er Jahre eine reaktionäre Reformpolitik mit dem überwiegenden relativen Stop des Ausbaus bis hin zum Abbau sozialer Teilhaberechte mit einer wieder wachsenden sozialen Ungleichheit, Massenarbeitslosigkeit sowie Armut. Zuerst wurde der ‚alternativlose’ Ab- und Umbau des Wohlfahrtsstaats, Re-Privatisierung, Markt, Wettbewerb und Deregulierung von konservativ-liberalen Regimen wie in Großbritannien unter Thatcher eingeleitet. Nach längerem Widerstreben folgten dem zumindest teilweise aber auch sozialdemokratische Anführer der ‚Neuen Mitte’ oder ‚New Labour’ wie Blair oder Schröder. Als Tenor wurde auch von dieser Seite die ‚schlicht notwendige’ Modernisierung zu einem nachhaltigen und zukunftssichernden oder ‚investiven’ Wohlfahrtsstaat gefordert, so dass die Verteidiger des ‚alten’ Wohlfahrtsstaats zu ‚Altlinken’ oder ‚Strukturkonservativen’ wurden, welche die Zeichen der Zeit nicht erkennen wollten.

Die immer neuen ‚Krisen‘ und ‚Sachzwänge‘ der Finanzen, Wirtschaft & Arbeit, Demographie, Familie, Umwelt usw. nehmen hierbei eine zentrale argumentative Rolle ein, so dass politische ‚Reformen’ mit ihren Ursachen wie auch Wirkungen auf technokratische Art und Weise interpretiert, ideologisch neutralisiert oder gewendet werden – wesentlich geprägt durch wirtschaftsnahe, ‚neo-liberal’ geprägte ‚Experten’, ‚think tanks’ oder internationaler Organisationen wie Weltbank, Internationaler Währungsfonds (IMF), Welthandelsorganisation (WTO) oder Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).

Dabei stellt sich für mich im Folgenden die Frage nach der Logik und dem sozialen Hintergrund des Erfolgs der wohlfahrtsstaatlichen Reformpolitik, was mithilfe des Ansatzes von Pierre Bourdieu betrachtet und besser verstanden werden kann. Dessen Modell des politischen Feldes (Bourdieu 2001) wurde in der Wohlfahrtsstaatsforschung (Starke 2006) bisher kaum beachtet, obwohl seine soziologischen Analysen längst einen Klassikerstatus genießen und erhellend auf die wachsende und sich wandelnden Formen sozialer Ungleichheit und ‚Prekarität’ angewandt wurden (Schultheis/Schulz 2005; Schultheis 2007, Vester et al. 2001; Wacquant 2010).

Zunächst folgen einige kritische theoretische Rekonstruktionen des ‚real existierenden’ Wohlfahrtsstaats als Machtfeld, womit die dominierenden einseitigen funktionalistischen Sichtweisen ergänzt und korrigiert werden sollen. Danach werden Transformation sozialer und politischer Milieus in Deutschland mit der daraus resultierenden ‚Krise der Repräsentation‘ (Vester et al. 2001) skizziert, die eine wichtige Grundlage oder Hintergrund der wohlfahrtsstaatlichen Reformpolitik bilden. Am Ende wird damit hoffentlich ein Teil der ‚Logik‘ der wohlfahrtsstaatlichen Krisen- und Reformpolitik deutlicher.