Ist doch alles gut mit der Freiheit von Forschung und Lehre an deutschen Hochschulen?1 Sind es wirklich nur die viel beschworenen Ausnahmen, welche die Regel bestätigen, wenn öffentliche Vorträge und Diskussionen wegen umstrittener Inhalte oder Personen verhindert werden oder „umstrittene“ Kolleginnen und Kollegen diszipliniert und hinausgeworfen werden? Die Zwischenergebnisse einer groß angelegten Studie „Akademische Redefreiheit“2 scheinen jedenfalls Entwarnung zu geben: „Forschung und Lehre können an deutschen Hochschulen frei ausgeübt werden, so das Ergebnis einer repräsentativen Studie“, behauptet der Deutsche Hochschulverband (DHV, 10.10.24). Heike Egner und Anke Uhlenwinkel sehen das „Einzelfall-Argument“ dagegen für eine „Abwehrwaffe“, die ihrer Forschung zur Entlassung oder Degradierung von Professorinnen und Professoren von Anbeginn an (seit 2020) entgegengehalten werde (inzwischen haben sie schon 60 Fälle erfasst, 50 alleine seit 2015).3 Tatsächlich häufen sich die Berichte und Forschungen zur Einschränkung der Freiheit des Denkens und Redens an deutschen Hochschulen.4 Versperrt also der berühmte Balken im eigenen, befangenen Auge derjenigen, die erfolgreich mit dem großen Strom schwimmen, den Blick auf die Wirklichkeit? Bekanntlich werden die Grenzen der Freiheit des Denkens und Redens umso eher sichtbar oder „evident“, wenn aus dem herrschenden Konsens der Mehrheit ausgeschert wird. „Nur wer sich bewegt, spürt seine Fesseln“, heißt es. Tatsächlich bietet auch der vorgelegte Kurzbericht der Studie selbst genug kritische Befunde, so zeigt die folgende Betrachtung.5
Zwiespältige Zielsetzung
Als Ziel der Studie wird zunächst erklärt, dass über „anekdotische Evidenz“ hinaus empirisch „fundiert“ ermitteln werden soll, ob Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von Einschränkungen in ihrer Forschung und Lehre betroffen sind. Soweit so gut, auch wenn bereits einige durchaus „fundierte“ Ergebnisse vorliegen, auf die nicht Bezug genommen wird und die mittelbar als ‚Anekdoten‘ abgewertet werden. Zudem will die Studie eine „emotional und politisch aufgeladene Diskussion“ um Zensur und ‚Cancel Culture‘ an Hochschulen in „versachlichte“ Bahnen lenken und eine „Orientierungshilfe“ in kontroversen Diskussionen geben, „gegen die Tendenz einer zunehmenden Polarisierung“.6 Damit klingt ein zwiespältiger politischer Anspruch der Studie an, wenn auch verklausuliert oder verschleiert. Dass damit eine unliebsame Diskussion um Cancel Culture beigelegt werden soll, wie es im Bericht des DHV durchscheint, drängt sich jedenfalls als Verdacht auf. Um kontroverse wissenschaftliche Diskussionen an Hochschulen zu führen, braucht es übrigens keine „Orientierungshilfe“ – die Achtung wissenschaftlicher Grundregeln und rechtsstaatlicher Verfahren (’sine ira et studio‘) würde ausreichen (zivilisierte, höfliche Umgangsformen nicht zu vergessen).
Zwiespältige Ergebnisse
Die Ergebnisse der besagten Studie zeigen zwar zunächst, dass die „Autonomie und Freiheit“ an Hochschulen ’nur‘ von 22% der Antwortenden als „eher schlecht“ (19%) oder „sehr schlecht“ (3%) beurteilt werden (unter ges. ca. 9 Tausend antwortenden wissenschaftlich Tätigen); dagegen sehen 61% die Freiheit und Autonomie als „eher gut“, 18% sogar als „sehr gut“ an (a.a.O. S. 9). Wie aussagekräftig die Gesamteinschätzung ohne Konkretisierung ist, sei dahingestellt.7 Auch lässt sich streiten, ob es nun wenig oder viel ist, wenn gut ein Fünftel der Antwortenden mehr oder weniger große Defizite der „Freiheit und Autonomie“ an Hochschulen wahrnehmen (wobei ja auch „eher gut“ ‚Luft nach oben‘ oder Verbesserungsmöglichkeiten anzeigt). Im Übrigen ist jeder einzelne Fall der offenen oder verdeckten Unterdrückung des freien Denkens und Redens an Hochschulen problematisch und wirkt wie ein Tropfen Gift in einem Brunnen. Der Tenor im Bericht ist ungeachtet dessen, die Seltenheit von Freiheitseinschränkungen zu betonen. Dass z.B. nur bis ca. 10% der Antwortenden bejahen, dass sie Forschungen oder Lehrveranstaltungen aufgrund von befürchtetem Druck oder Nachteilen nicht wahrnehmen würden, sei „eher vernachlässigbar“ und nicht „charakteristisch“ für die „Wirklichkeit“ an Hochschulen, so die Ko-Autorin Paula-Irene Villa (DIE ZEIT No. 43, S. 32). Dem widerspricht zwar der Kollege Richard Traunmüller (ebd.), aber dieser scheint im Forschungsteam in einer randständigen Position gewesen zu sein.
Das eigentlich erschreckende, entlarvende Ergebnis findet sich aber im hinteren Teil des Berichts, wo die konkreten Einstellungen und Grenzen der akademischen Redefreiheit an konkreten Beispielen deutlicher werden: So finden 64% der antwortenden wissenschaftlich Tätigen, es sollte an Hochschulen nicht erlaubt sein, „den Klimawandel zu bestreiten“.8 Nur eine Minderheit von 31% der Antwortenden finden entsprechend, das Bestreiten des (menschengemachten) Klimawandels sollte an Hochschulen erlaubt sein (S. 25). Ein weiteres Indiz für die an Hochschulen weithin offen proklamierten autoritären Haltungen ist, dass 33% der Antwortenden den Erlass von Denk- und Sprechgeboten an Hochschulen unterstützen, indem sie finden, eine „gendergerechte Sprache verpflichtend einführen“ sollte erlaubt sein. Diese Befunde werden im Bericht nicht ansatzweise problematisiert, nur der Ko-Autor, Richard Traunmüller sieht dieses in seinem Kurzkommentar kritisch (DIE ZEIT No. 43, S. 32).
Repräsentativität und mögliche Verzerrungen?
Nur am Rand sei angemerkt, dass die Behauptung der Repräsentativität der Befragung (S. 3) angesichts der Teilnahmequote von 17% zumindest gewagt erscheint. Jedenfalls kann eine systematisch verzerrte Beteiligung nicht ausgeschlossen werden, angesichts des politisch wie moralisch aufgeladenen Themas. Die beachtliche Größe der Stichprobe mit über 9 Tsd. antwortenden wissenschaftlich Tätigen (min. mit Doktorat oder dieses anstrebend) hilft hierbei bekanntlich nicht allzu viel und auch die Gewichtung nach bestimmten Merkmalen der antwortenden Personen kann das Problem möglicher Verzerrungen nicht sicher lösen (wobei das Vorgehen dazu nicht dargelegt und nachvollziehbar wird). Nicht nur, dass sich kritische, an den Rand gedrängten Geister vielleicht weniger an der Befragung beteiligt haben könnten. Diese könnten auch schon häufiger aus Hochschulen entfernt oder abgedrängt worden sein, so dass sie weniger Chancen gehabt hätten, in die Stichprobe zu kommen. Auch schon die im Bericht verwendete Benennung von Geschlechtern könnte zur verzerrten Beteiligung beigetragen haben, falls diese bei der Kontaktaufnahme oder in Fragestellungen verwendet wurde, worüber man mangels Informationen nur mutmaßen kann. Die modischen Sprech- und Schreibweisen treffen oft auf Ablehnung, zumal damit Ungleichheit nicht beseitigt, vielmehr sogar neu geschaffen oder verstärkt wird.9 Wie auch immer: Diese ‚Gender-Schreibweise‘ verrät einen politischen ‚Bias‘ der Autorinnen und Autoren.
Fazit
Zusammengefasst lavieren die Autorinnen und Autoren der Studie herum, wenn sie behaupten, Einschränkungen der akademischen Redefreiheit sei kein flächendeckendes Phänomen an deutschen Hochschulen, obwohl sie zugeben müssen, dass sich Einschränkungen nicht auf Einzelfälle beschränken (S. 32). Besonders entlarvend ist die lapidare Aussage, dass „Grenzen der Redefreiheit unterschiedlich gezogen werden“ (ebd.), womit Zensur verharmlost wird. Zwar ist es keine Mehrheit, die Denk- und Redeverbote befürwortet, aber eine sehr große Gruppe, je nach Thema (siehe Klimawandel und ‚Gendersprache‘). Dass dieses nicht kritisch diskutiert wird, lässt mich als einer der kritischen Kolleginnen und Kollegen, die aus Hochschulen entfernt wurden, fassungslos zurück 10 Dass Wissenschafts- und Redefreiheit an Hochschulen auch Grenzen haben müssen, die in den Gesetzen (Verfassung, Strafrecht usw.) oder der Vernunft und des zivilisierten Umgangs liegen, ist zwar selbstverständlich und unbestritten. In einer freiheitlichen Ordnung sollten die Grenzen aber so weit wie nur möglich gesteckt werden, zumal an Hochschulen, wo das freie, kreative Denken ‚out of the box‘ und Kontroversen die Regel sein sollten, nicht das kritiklose Herbeten und Verteidigen des herrschenden Konsenses oder angesagter Moden.11 Offenkundig frönen erschreckend viele an Hochschulen einem wachsenden Autoritarismus des vermeintlich einzig „Wahren und Guten“, der (politisch v.a. von links kommend) weithin verkannt wird.12. Insgesamt wird jedenfalls mit der Studie eindrucksvoll und wider Willen erneut bestätigt, dass Denk- und Redeverbote an Hochschulen auch hierzulande weit verbreitet sind und ‚System haben‘. Abschließend und ausblickend bleibt aber noch ein Rest an Hoffnung auf den Endbericht, in dem vielleicht auch kritische Forschungen einbezogen und mögliche kontroverse Sichtweisen der Autorinnen und Autoren deutlich werden. Es lebe die freie, kontroverse wissenschaftliche Diskussion.
- Dieser Beitrag ist zuerst beim Overton-Magazin erschienen: https://overton-magazin.de/hintergrund/wissenschaft/alles-gut-oder-balken-im-eigenen-auge-zur-studie-akademische-redefreiheit/.[↩]
- ZEIT-Stiftung Bucerius/Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (Ed.) (2024), Akademische Redefreiheit: Kurzbericht zu einer empirischen Studie an deutschen Hochschulen (verfasst von: Gregor Fabian, Mirjam Fischer, Julian Hamann, Anna Hofmann, Matthias Koch, Uwe Schimank, Christiane Thompson, Richard Traunmüller, Paula-Irene Villa), https://read.zeit-stiftung.com/report_akademischeredefreiheit/docs/Report_AkademischeRedefreiheit_RGB_RZ_2.pdf (30. Oktober 2024).[↩]
- Egner, Heike/Uhlenwinkel, Anke (2024): Wer stört, muss weg! Die Entfernung kritischer Professoren aus Universitäten, Neu-Isenburg, Westend Verlag, S. 18[↩]
- Vgl. z.B.: Hopf, Wilhelm (Ed.) (2019): Die Freiheit der Wissenschaft und ihre ‘Feinde’. Münster: LIT Verlag Münster; vgl. Revers, Matthias/Traunmüller, Richard (2020): Is Free Speech in Danger on University Campus? Some Preliminary Evidence from a Most Likely Case. KZfSS Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 72(3): 471–97. doi:10.1007/s11577-020-00713-z; Traunmüller, Richard/Revers, Matthias (2021): Meinungsfreiheit an der Universität. KZfSS Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 73(1): 137–46. doi:10.1007/s11577-021-00758-8; Egner, Heike/Uhlenwinkel, Anke (2023): Wie wenig es braucht …! Befunde zur Entlassung oder öffentlichen Degradierung von Professorinnen und Professoren. https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/90798 (April 9, 2024). Meyen, Michael (2023). Wie ich meine Uni verlor: Dreißig Jahre Bildungskrieg. Bilanz eines Ostdeutschen. Berlin: edition ost.; https://www.netzwerk-wissenschaftsfreiheit.de/dokumentation/[↩]
- Dass ich selbst infolge kritischer Äußerungen in der Corona-Krise von Studierenden an der Hochschule München angegriffen wurde und infolgedessen „meine Uni verlor“ (in Anlehnung an das genannte Buch von Michael Meyen), trägt zwar zur Sensibilität bei diesen Fragen bei, entkräftet aber nicht eventuelle sachliche Argumente; zu meinem ‚Fall‘: https://einfachkompliziert.de/cancel-culture-an-hochschulen/.[↩]
- ZEIT-Stiftung Bucerius/Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (Ed.) (2024), Akademische Redefreiheit, https://read.zeit-stiftung.com/report_akademischeredefreiheit/docs/Report_AkademischeRedefreiheit_RGB_RZ_2.pdf (30. Oktober 2024), S. 3.[↩]
- Geschenkt, dass ein nicht ganz eindeutiger, doppelter Stimulus in der Frage vorliegt und die genauen Fragestellungen der Studie im Bericht fehlen.[↩]
- Gemeint ist wohl der „menschengemachte“ Klimawandel, der übrigens wissenschaftlich viel unsicherer und umstrittener ist, als öffentlich meist behauptet wird; vgl. https://einfachkompliziert.de/technokratische-krisenpolitik-und-klimakrise-weitere-aushoehlung-oder-ende-der-demokratie/.[↩]
- Vgl. Roth, Günter (2021): ‚Gendergerechte‘ Sprache, Ungleichheit und Bildung, https://einfachkompliziert.de/gendergerechte-sprache-ungleichheit-und-bildung/ (31. März 2023).[↩]
- Zu meinem Fall ausführlich: https://einfachkompliziert.de/cancel-culture-an-hochschulen/[↩]
- Eine Anekdote am Rande: Die gegen meine kritischen Äußerungen zur Corona-Politik protestierenden Studierenden beklagten sich u.a. darüber, dass sie nicht wüssten, ob ich „wissenschaftlichen Konsens“ lehren würde, womit mein Hauptanliegen, zum selbständigen, kritischen Denken und Sprechen anzuregen, konterkariert wird. Statt sich aber überhaupt auf Diskussionen, z.B. zur Impfpflicht, einzulassen, wählten sie eine anonyme Denunziation bei der ‚Obrigkeit‘, welche dieses unwissenschaftliche Verhalten auch noch unterstützte und belohnte.[↩]
- Vgl. Roth, Günter (2023): Krisenpolitik und Autoritarismus des ‚Guten und Wahren‘, https://einfachkompliziert.de/krisenpolitik-und-autoritarismus-des-guten-und-wahren/ (6. Januar 2024); Roth, Günter (2024): Technokratische Krisenpolitik und ‚Klimakrise‘: Weitere Aushöhlung oder Ende der Demokratie?, https://einfachkompliziert.de/technokratische-krisenpolitik-und-klimakrise-weitere-aushoehlung-oder-ende-der-demokratie/ (20. Juli 2024).[↩]